MUMON-KAI VERLAG
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Zen-Meister Ryōkan Daigu (1758 - 1831):

Skulptur von Ryōkan im Ryūsen-ji (隆泉寺) in Washima, Nagaoka

Ryōkan wurde irgendwann im Jahre 1758 (das genaue Datum ist unbekannt) in dem abgelegenen Küstendorf Izumozaki in der Provinz Echigo, die jetzt Niigata Präfektur heißt, als erstes Kind in der Ehe seiner Eltern geboren. Weitere Kinder, 3 Jungen und 3 Mädchen, wurden später seine Geschwister. Das Gebiet im Norden von Honshû ist »Schneeland«, wo im tiefen Winter Schneever­wehungen die Bewohner zwingen, ihre Behausungen über das erste Stockwerk zu betreten und zu verlassen. Der Distrikt ist auch berüchtigt für einige der schwersten Erdbeben in der Geschichte Japans und berühmt für die wunderschöne Insel Sado, ein Rückzugsgebiet von Rebellen und die Quelle des Goldes des Shogun, das dort aus den ergiebigen Minen geschürft wurde. Ryōkans Vater, Araki Shinzaemon (1736-1795), war das Dorfoberhaupt und der Shintō-Priester.

 

Über Ryōkans Mutter Hideko (1735-1783) ist wenig bekannt, nur daß sie auf Sado geboren wurde. Doch wie wir aus Ryōkans Aufzeichnungen entnehmen können, scheint sie sanft und liebevoll gewesen zu sein.

 

Ryōkans Kindername war Eizō, ein ruhiger, ernsthafter Junge, der Bücher liebte. Im Alter von etwa 10 Jahren wurde er in eine konfuzianische Akademie aufgenommen, wo er seine Grundaus­bildung in den chinesischen und japanischen Klassikern erhielt. Unter der Führung seines ersten Lehrers Ōmori Shiyō (gest. 1791) entwickelte Ryōkan eine lebenslange Liebe für die Klassiker des Konfuzius. Die Mutter wollte ihn oft aus dem Haus schicken, damit er Dorffestlichkeiten besuche, um ihn dann später beim Lesen der alten Schriften verborgen unter einer Steinlaterne im Garten zu entdecken. (Als Ryōkan älter wurde, beschrieb er den chinesischen Meister nicht als einen Inbegriff von Orthodoxie und spießiger Korrektheit, sondern als einen warmherzigen, bescheidenen und unabhängigen Sucher nach der Wahrheit, der ungerechterweise von seinen Zeitgenossen wegen seiner unpraktischen Tagträumerei verurteilt wurde.) Als Jugendlicher liebte Ryōkan über alles einsame Spaziergänge entlang der Küste, der rauhen und stürmischen japanischen See zugewandt, oder ruhige Träumereien unter einer alten Kiefer im Garten der Familie. Selbst als Kind sprach er niemals Lügen und diskutierte auch nicht mit anderen Jungen.

 

Sein ruheloser und flatterhafter Vater Araki Shinzaemon war eifrig bemüht, die Position eines Dorfoberhauptes seinem ältesten Sohn Ryōkan zu übertragen, sobald dieser altersentsprechend dazu in der Lage war. Unter dem Schriftstellernamen Tachibana Inan kannte man Ryōkans Vater als einen durchaus nicht wenig bekannten Dichter, der bemüht war, dem Haiku, einer Gedichtform von 5 - 7 - 5 Silben, wieder stärkere Beachtung zu verschaffen. Er stand in entfernter Verbindung mit der berühmten Bashō-Schule der Haiku. Unglücklicher‑, besser glücklicherweise, konnte der 17‑jährige Ryōkan aus gesundheitlichen Gründen diesem Beruf, für den ihn sein Vater vorgesehen hatte, nicht entsprechen. Ernst und zur Vermittlung stets bereit haßte er Streit und Geltungssucht. Von Natur aus vollkommen ohne jegliche Arglist konnte er nicht verstehen, warum andere nicht ebenso geeignet sein sollten wie er.

Nach Durchleben einer Zeit geistiger Auseinandersetzungen entschied er sich, das Elternhaus zu verlassen und buddhistischer Mönch zu werden. Es gibt eine Reihe verschiedenster Erklärungen für sein entschlossenes Handeln. Ryōkan machte sich bewußt, daß es ihm an Geschick für einen diplomatischen Politiker mangelte. Er war entsetzt über die blutige Exekution (an der er zusammen mit seinem Vater teilnehmen mußte), durch die ein Dorfbewohner für ein Verbrechen bestraft wurde. Plötzlich entdeckte er ein Licht am Ende des Ganges seines bisher ungeordneten und unerfüllten Lebens.

 

Als junger Mann verwandelte sich der Büchernarr Ryōkan kurzfristig in einen Don Juan.

»Wenn dieser Bursche hier in der Gegend auftaucht«, so sagten die Dorfbewohner untereinander, »so warnt eure Töchter vor ihm.«

Ryōkan über sich selbst:

 

Jung und lebenslustig trieb ich mich als dreister Bursche in der Stadt herum. Mit Stolz zog ich feine Kleider an und ritt ein schönes, braunes Pferd. Am Tag galoppierte ich durch die Straßen, des Nachts betrank ich mich unten am Flußufer. Die Nacht machte ich zum Tag. Mein Treiben endete meist im Freudenhaus, mit einem grinsenden Gesicht.

 

Man erzählt von ihm auch folgende Geschichte:

Ryōkan besuchte einst mit einer Geisha ein Fest. Die Feier dauerte bis spät in die Nacht, aber Ryōkan wurde immer mürrischer. Die Geisha tat ihr Bestes, um ihn aufzumuntern, jedoch nichts konnte seine alles erfassende Schwermütigkeit vertreiben. Nachdem er sein ganzes Geld ausgegeben hatte, ging er tief verzweifelt nach Hause. Am nächsten Morgen fand ihn seine Familie mit geschorenem Kopf und in ein weißes Gewand gekleidet vor. Ohne viel zu sagen verließ er sein Elternhaus. In einem nahegelegenen Tempel bat er um Aufnahme als Mönch. Auf dem Weg dorthin traf er die Geisha vom Vorabend. Sie bat ihn, sein Vorhaben noch einmal zu überdenken. Ryōkan jedoch ließ sich in keinen Wortwechsel ein und ging entschieden seines Weges. In Wahrheit war es die Summe all seiner enttäuschenden Lebenserfahrungen, die Ryōkan bewogen, sich von der Daseinswelt zurückzuziehen.

 

Wie Ryōkan wurden auch andere Mitglieder im Stammbaum seiner Familie buddhistische Priester. So ist es nicht verwunderlich, daß er Trost in einem geistigen Leben suchte. Das Amt des Dorfoberhauptes wurde Ryōkans Bruder Yoshiyuki (1762‑1834) übertragen. Ryōkan übte als Unsui im Kōshō-Ji, einem kleinen Sōtō-Zen-Tempel, der von Genjō Haryō (gest. 1814) geleitet wurde. Dort erhielt er den Unsui-Namen Ryōkan – »ryō« bedeutet »gut« und »kan« soviel wie »großherzig«. »Daigu« hat die Bedeutung von »einfältig« oder »Narr«, vergleichbar mit einer kindlichen Einfachheit ohne falschen Schein.

Ōzeki Bûnchû zitierte Ryōkan mit folgendem Ausspruch:

 

Die Leute sagen alle: ‘Erst werde Mönch und dann studiere Zen’ – ich aber habe erst Zen studiert und bin dann Mönch geworden.

 

Während wenigstens drei Jahren übte Ryōkan unter dem Tempelvorsteher Genjō. Schon zu dieser Zeit studierte er eifrig das Eihei-Koroku, eine Sammlung der Schriften von Zen-Meister Dōgen Kigen (1200‑1253), dem Gründer der Sōtō-Schule in Japan.

Um das Jahr 1780 besuchte der Zen-Meister Dainin Kokusen (1723‑1791) das Kōshō-Ji. Er war der Lehrer von Genjō Haryō. Ryōkan beeindruckte die Aufrichtigkeit und Wachheit dieses Lehrers zutiefst. Er bat Kokusen, Schüler bei ihm werden zu dürfen und erhielt die Zustimmung des Meisters. Beide kehrten in das Entsû-Ji, das Kloster von Kokusen, zurück, nach Tamashima, das heute in der Präfektur Okayama liegt.

Entsû-Ji ist ein kleines, liebevoll gestaltetes Kloster mit einem Bambushain und einem Lotusteich. Es liegt auf einer Anhöhe und man hat von dort aus einen Blick auf den Hafen von Tamashima (...)

 

 

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